Hinter Glas – Wie manche Männer in mir neue Hoffnung wecken

Ich stehe hier an der Fensterfront und blicke in die Ferne. Es ist später Nachmittag, das Licht fällt angenehm sanft herein. Abgekämpft und müde von einem langen Tag, der noch kein Ende nehmen wird, bin ich hierher gekommen, um ein wenig nachzudenken. 

Plötzlich merke ich, dass ich nicht mehr ganz alleine bin, weil du dich ruhig und fast unbemerkt neben mich gestellt hast. So stehen wir hier, Seite an Seite an der Fensterfront, jeder auf seine Weise ein bisschen müde und nachdenklich. Die Aussicht von hier ist fantastisch. Wir plaudern ein wenig über dies und das, übers Geschäft und die Geschäfte anderer, darüber, wie der Hase läuft in dieser Welt da draußen, die sich vor uns ausbreitet mit all ihren wundervollen Aussichten, von der wir aber durch das Glas getrennt sind.

Ich wende meinen Blick ab und beobachte stattdessen dich von der Seite. Es passiert nicht oft, dass man den Blick zur Seite drehen kann und jemanden findet, der da steht und in die gleiche Richtung schaut. Stoisch schaust du nach vorne, in deinen Augen spiegelt sich die Welt, aber sie lassen sich nicht blenden von den vielen  verführerischen Möglichkeiten, die ein jeder Sonnenstrahl da draußen dir verspricht. Stattdessen schüttelst du langsam und in Gedanken den Kopf. Mit ruhiger Stimme sprichst du von all diesen Männern, die sich die Welt mit unlauteren Mitteln zurechtbiegen so wie sie es brauchen. Darüber, wie sie Menschen wie Marionetten für sich tanzen lassen und es dennoch immer und immer wieder schaffen, oben zu schwimmen. Wie sie zigarrenrauchend am Ventil der Macht sitzen und immer laut hier schreien, wenn Geld verteilt wird. Und wie sie sich am Ende des Tages für all das selber und gegenseitig machomäßig auf die Schulter klopfen.

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Du bist angwidert und wie ich dich so anschaue, beginne ich, dich innerlich dafür zu feiern. Weil du alles hast, was es braucht, um zu diesem Club der Macht dazuzugehören. Du, männlich, weiß, gebildet, jung. Es wäre dir ein Leichtes gewesen, dich für die andere Seite da draußen zu entscheiden und sicher hattest du immer wieder zahllose Gelegenheiten, die Seite zu wechseln. Du entscheidest dich aber, hier bei mir zu stehen, hinter dem Glas. Von hier aus können wir alles sehen, was draußen vor sich geht, aber wir können den Arm nicht danach ausstrecken. Wir können nicht einwirken und keinen Einfluss nehmen. Dennoch bist du hier. Und du trägst mit mir all die Bürden, die das Stehen auf dieser Seite des Glases mit sich bringt.

Durch dich feiere ich in diesem Augenblick eine ganze Generation von Männern, die sich dafür entscheiden wird, bei und neben und hinter uns zu stehen, anstatt sich in den Trögen der Macht gegenseitig zu suhlen und mit Schlamm zu beschmieren. Fähige Männer, die unsere Welt verändern werden. Führungskräfte, die Menschen aufbauen und unterstützen, anstatt sich nach unten abzugrenzen und in einem geheimen Club der männlichen Machterhalter einzuschließen. Männer, die die Stärken und Kompetenzen anderer oder auch des anderen Geschlechts nicht fürchten sondern fördern werden. Männer, die zwar nicht in den Schuhen einer Frau stehen, die aber auch die bequem eingelaufenen Treter ihrer Vorgänger ablehnen und von diesem neuen Punkt aus den Schuhmarkt revolutionieren. Und das restliche System gleich mit. Wie ich dich da stehen sehe, angewidert, resigniert und kopfschüttelnd, schöpfe ich am Ende eines langen, harten Tages Hoffnung auf eine gerechtere Zukunft.

Eine Weile noch bleiben wir stumm nebeneinander, den Blick auf die Glaswand gerichtet, bevor wir uns langsam umdrehen und ein*e jede*r zurückgeht, um weiterzukämpfen, auf seiner und ihrer ganz eigenen Position.

 

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