Kein Spaß so ein Brunch

Gequält stehe ich vor dem Spiegel. Mein ganzer Organismus schreit mich an. Er will, dass ich mich zurück ins Bett lege und die Decke weit über den Kopf ziehe. Und dennoch stehe ich hier, obwohl ich es kaum schaffe, mich aufrecht zu halten.

Als wäre das nicht schon abartig genug, meint irgendwas in mir tatsächlich auch noch, ich müsse meine müden Augen mit viel mehr Schminke als sonst bedecken und mich dann in ein besonderes Outfit zwängen. Spätestens bei diesem Gedanken hätte ich nachgeben sollen und mich sofort wieder ins Bett begeben.
Denn es ist Sonntag verdammt. Und das, was da vor mir liegt, versucht offensichtlich etwas aus mir zu machen, was ich weder bin, noch sein mag. Und schon gar nicht sonntags. Jawohl, ihr ahnt es: Ein Brunch ist angesagt.

Dazu ist fairerweise zu sagen, dass es im Allgemeinen 2 Sorten von Brunch gibt. Die eine Sorte, das ist die kuschelige Wohlfühlvariante, in der man sich mit seinen besten Menschen am Vormittag trifft und ehe man es sich versieht um 15 Uhr das nächste Mal auf die Uhr schaut, weil man mit einer Jumbotasse Kaffee in beiden Händen so in das Gespräch über kleine Ausrutscher und große Lebensfragen vertieft war.

Der heutige Brunch sollte offensichtlich nicht von dieser Sorte sein. Tatsächlich finde ich mich – mein Bauchgefühl hat es geahnt – 45 Minuten später in einer abartigen Denver-Clan-Variante von „schneller, höher, weiter“ wieder. Was von außen vielleicht ausschauen mag wie eine Spaßveranstaltung, ist im Inneren ein passiv aggressiver Wettkampf genährt von außerordentlichem Geltungsdrang. Ziel des Spiels: Den Gegner mundtot machen und dafür sorgen, dass er sich in seiner erfolglosen Unbedeutsamkeit selbst auflöst. Mittel zur Erreichung des Ziels: Verkaufe jede auch noch so winzige Begebenheit in deinem Leben so, als wäre sie der größte Erfolg, den die Menschheit je gesehen hat. Ganz wichtig dabei: Sobald der Mitbruncher auch nur den leisesten Versuch wagt, auf das eigene Leben umzulenken und auch mal von sich zu erzählen, musst du das Ruder schnell wieder an dich reißen, am besten mit Floskeln wie: „Ja aber bei mir…“ oder „Das ist ja noch gar nichts, ich hab nämlich…“.

Ich meine, was ist in Wahrheit die Entdeckung des Feuers gewesen gegen die Tatsache, dass dein Sohn wie jedes andere Kind auch kacken kann und warum zur Hölle wird immer noch so ein Wirbel um die Erfindung des Rads gemacht, während dein neues Handy doch so viel cooler ist? Das Spiel wird demonstrativ eröffnet mit einem klangvollen „Stößchen“ und schon fliegen zwischen Sekt und Lachs-Häppchen unterschwellige Giftpfeile durch die Gegend und werden zwischenzeitlich immer wieder mit einem vermeintlich versöhnlichen „Stößchen“ begossen. Satt werden ist hier nicht wirklich angesagt – warum auch, man trifft sich ja nur zum Brunch, weil man zu fancy für ein bloßes Frühstück und zu hip für ein deftiges Mittagessen, dann aber auch wieder zu fresh für einen ordinären Kaffee ist.

Obwohl man sich so offenkundig gar nicht für den anderen interessiert, feiert man das Beisammensein mit zig weiteren „Stößchen!“. Wer sich hier nicht verkaufen kann, verliert. Verkaufen ist alles und wenn du nicht einen jeden deiner unnützen Atemzüge angemessen zu verkaufen weißt, dann bist du nichts und hast nichts erreicht.

Schon gelesen? Die Selbstoptimierungsfalle

Ich kann mich nicht verkaufen. Zeit meines Lebens haben Menschen fürs Nichtstun mehr Applaus bekommen als ich für das Entschärfen von Bomben und die Rettung der Welt je kriegen könnte. Ich könnte siebzehn Nobelpreise und drei Oscars gewinnen und trotzdem würden andere fürs Ausräumen des Katzenklos mehr gefeiert. Ich wollte immer meine Leistungen und Taten für sich sprechen lassen. Also lächle ich den Großteil des Brunches über und nicke, bis ich mich völlig ausgelaugt fühle. In gebückter weil völlig geschwächter Haltung schleppe ich mich schließlich endlich nach Hause. In meinem Inneren tut sich ein schwarzer Krater des Ungenügens auf. Mit letzter Kraft noch schließe ich die Tür hinter mir zu, ich will nur noch diesen Tag (und die überflüssige Schminke) von mir abwaschen und mich dann in ein Loch verkriechen.

Doch da sehe ich ihn. Wie er da steht – aufrecht und stramm in seiner ganzen Pracht. Wie wunderschön er ist, wohlgeformt in seiner zylindrischen Form. Er glänzt so unwiderstehlich in einem leichten Rose. Ganz hart ist er, wie er da steht, aber dann doch auch wieder weich im Inneren. Alles fällt von mir ab, denn hier ist er, direkt vor meinen Augen, der aufrechte Beweis dafür, dass auch ich in meinem Leben Erfolg habe, dass ich zielgerichtet bin, Dinge anpacken und zu Ende bringen kann. Andere mögen vielleicht verheiratet sein und Kinder kriegen oder eine Wahnsinnskarriere im Ausland starten, aber der hier, der gehört nur mir. Dieser eine Labello, den ich tatsächlich bis zum Ende aufgebraucht habe. Stößchen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert