Lockdown: Wir bleiben offen

„Weißt du, egal was heuer noch passieren wird, ich habe mir vorgenommen immer offen zuu bleiben“, erklärte ich feierlich am Ende eines langen Telefonats zu Beginn dieses Jahres. Wie gut sich dieser Satz angefühlt hat und wie zuversichtlich ich war, dass sich damit alles zum Besseren wenden würde. Wenn ich einfach offen bleibe.

Wenige Wochen später – ich noch immer mit offenen Armen und offenem Herzen bereit die Welt zu erobern – hat eben jene Welt um mich herum komplett zugesperrt. Der erste Lockdown und mit ihm eine für uns alle unbekannte, unklare und vor allem unsichere Lebenslage, hat uns auf den Boden von ganz neuen Tatsachen geholt. Eine globale Herausforderung hat es bis an unsere Türschwellen geschafft, anstatt einfach im Mittelmeer zu ersaufen. Und sie kontrolliert uns, beherrscht unseren Alltag, wo wir doch sonst immer diejenigen sind, die alles unter Kontrolle haben und die Welt beherrschen. In den darauffolgenden Wochen ist nicht nur die Infektions- sondern auch unsere Lernkurve besonders steil gewesen. Pandemie – ein Wort, das ganz selbstverständlich und unsichtbar Einkehr in unseren Alltagswortschatz gefunden hat, so wie auch das Virus selbst es sich auf einmal mitten in unserer Gesellschaft gemütlich machte.

Und ja, ich bin mir der Ironie bewusst, dass ich mich dazu entschieden habe, mich zu öffnen nur wenige Wochen bevor die ganze Welt geschlossen hat.
Trotzdem war ich ausgerechnet zu jener Zeit in hervorragender Gesellschaft. Denn ihr, ja ihr Menschen da draußen, ihr wart plötzlich alle da und sichtbar mit euren schillernden Persönlichkeiten, euren Sehnsüchten und lang gehegten Träumen. Ihr wart sowas von da. Ihr habt Projekte angestoßen, Solidarität gezeigt, gesellschaftliche Probleme offen angesprochen, die wir schon viel zu lange ignoriert hatten. Ihr habt einander unter die Arme gegriffen um Existenzen, so gut es nur möglich war, zu sichern. Künstler zu unterstützen, Einzelunternehmer, Gastronomen. Wir alle haben verstanden, wie ungerecht die Bildungsvoraussetzungen in Österreich immer noch sind und uns gefragt, warum ausgerechnet die systemrelevanten Berufe, die am Ende für uns den Laden am Laufen halten, so schlecht bezahlt sind. Wir haben zueinander Kontakt aufgenommen, regelmäßig nachgefragt, wie es uns geht, Streitigkeiten beiseite gelegt und uns auf Wichtigeres konzentriert. Könnt ihr euch noch erinnern? Kaum waren die Türen zu waren wir alle offen wie sonst niemals. Bedeutet offen zu sein vielleicht manchmal schlicht, in sich selbst hineinzusehen und andere um uns erkennen und teilhaben zu lassen, wer wir wirklich sind, mit all unseren tollen Seiten, aber auch unseren Sorgen und Problemen? Authentizität. Das klingt wunderschön irgendwie. Und auch ein wenig beängstigend.

Der Lockdown ging zu Ende und Leben war wieder möglich. Die Bedrohung ist aber geblieben und die Dichte und Schrägheit der Ereignisse des heurigen Jahres machen es nicht einfacher damit klarzukommen. Und spätestens an dem Punkt, an dem das Leben wieder hereinknallte, hat sich unweigerlich gezeigt, dass offen zu sein nicht unbedingt nur fluffige Teddybären, schillernde Einhörner, Sternschnuppen, Regenbögen und Zuckerwatte bedeutet. Vielmehr ist es eine bleibende Herausforderung, wie man umgehen soll mit all den Unsicherheiten und Problemen der Welt da draußen, mit den eigenen Ängsten und Bedrohungen und Existenzkämpfen, ohne sich dabei doch wieder abzukapseln. Ich finde euch nicht mehr. Ich kann euch nicht mehr erkennen. Kaum ist die Außenwelt zurückgekommen, wart ihr auch wieder verschwunden. Habt eure Träume und Sehnsűchte begeistert vor den fahrenden Zug geworfen. Ich erreiche euch auch nicht mehr und keiner meldet sich, weil wir alle endlich wieder busy sind. Und wir blenden aus, was wir begonnen haben klar zu sehen. Es ist leichter so. Leichter, die Verbindungen zu zerschlagen und Solidarität zu vergessen, weil all dies einfach war im großen Nichts, aber jetzt bedeuten würde, wahrhaftig Verantwortung zu übernehmen. Und ausgerechnet die, die sagen, sie lassen sich von der Angst nicht mundtot machen, sind es, die am allermeisten mit ihr ringen und sich aufstacheln lassen. Ich wünschte oft, ich könnte mich aus all dem hinausbeamen und so tun, als wäre es nicht. Es wäre so viel einfacher. Offen zu sein bedeutet aber auch anzunehmen, was ist, ohne sich dabei trotzig zurückzuziehen, es zu ignorieren oder gar zu leugnen und sich in eine Realität zu flüchten, die ihre Berechtigung einzig dadurch erhält, dass sie uns weniger Angst macht, weil sie uns zumindest für alles einen Grund liefert.

Es ist die Rede von einer neuen Normalität, aber irgendwie haben wir es in nur wenigen Wochen geschafft, zurückzukehren in unsere eigene, egobezogene Normalität. Wo seid ihr bloß alle hin?
A ja, ihr streitet jetzt darüber, wessen Wahrheit denn die Richtige ist. Wir sind so beschäftigt damit, uns zu streiten uns gegenseitig zu spalten, dass wir an den eigentlichen Problemen vorbeistreiten. Es geht gar nicht darum, wer jetzt recht hat, sondern es geht darum, eine Pandemie einzudämmen und dabei auf diejenigen zu achten, die in dieser Krise alles verlieren könnten. Es geht nicht darum, alles besser zu wissen als Expert*innen, sondern ein offenes Auge zu behalten, was die momentane Situation und die Maßnahmen, die damit einhergehen mit unserer Gesellschaft anrichtet. Es geht nicht darum, seinen eigenen Egoismus zu leben und jede auch noch so kleine Einschränkung im eigenen Alltag abzulehnen, sondern zu erkennen, wo unsere Kritik hingehen soll und diese dann am besten gemeinsam formulieren. Denn ja, wir sollen Masken tragen und Abstand zueinander halten. Aber wenn wir uns darüber nicht aufregen, sondern die Augen aufmachen und sehen, welche Menschen gerade jetzt unsere Unterstützung brauchen, dann sind wir auch mit Abstand solidarischer. Und lauter. Und näher beeinander.

Offen zu sein bedeutet nämlich auch, mehrere Aspekte zu erkennen und gleicher Maßen als wahr anzuerkennen, es bedeutet, nicht immer eine klare Entscheidung nach dem Ausschlussprinzip treffen zu können. Offenheit ist kein „Entweder-Oder“, sondern ein „Und-Auch“. Und wir können kritisch sein und gleichzeitig auch füreinander Regeln einhalten. Und wir können in so manchen Dingen unterschiedlicher Meinung sein und trotzdem gemeinsam ein Zeichen der Solidarität setzen. Zum Beispiel heute bei der Kundgebung um 16 Uhr am Landhausplatz in Innsbruck. Denn offen zu sein, das habe ich im heurigen Jahr gelernt, ist am Ende nichts weiter als die Entscheidung, sich nicht wieder voreinander zu verschließen, egal wie erschreckend es auch sein mag, was in der Welt um dich gerade passiert.

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